Jud Süß 2.0 – Vom NS- zum Online-Antisemitismus

Jud Süß 2.0 – Vom NS- zum Online-Antisemitismus

Szenenbild aus JUD SUESS 2.0 © Blueprint Film GmbH 2022
Szenenbild aus JUD SUESS 2.0 © Blueprint Film GmbH 2022

Worum geht´s?

Eckdaten des Films:

Buch & Regie: Felix Moeller

Bild: Alexander Vexler

Montage: Erec Brehmer

Produktion: Blueprint Film GmbH Amelie Latscha

Lehrprogramm, pädagogische Empfehlung: ab 14 Jahren

Schuljahre: Sek I ab Klasse 9, Sek II

„Jud Süß 2.0″ dokumentiert die visuellen Wurzeln eines neuen Antisemitismus im Internet und in Social Media und zieht dabei eine historische Linie zur Bildpropaganda des Nationalsozialismus: Wirken Klischees, Stereotype und Narrative von NS-Filmen wie „Jud Süß“, „Die Rothschilds“ oder „Der ewige Jude“ bis ins heute hinein? Wo finden sich Kontinuitäten der Filmsprache dieser bis heute nicht freigegebenen NS-Propagandawerke zu Inhalten auf rechten Plattformen oder in Wahlkampagnen rechtsextremer Politiker?

Welche medienpädagogischen Themen werden im Film angesprochen?

  • Antisemitismus
  • Nationalsozialismus
  • Propaganda
  • Geschichtsrevisionismus und Holocaustrelativierung
  • Online-Radikalisierung
  • Rassismus
  • Extremismus und Rechtsradikalismus
  • Verschwörungserzählungen
  • Neue Rechte

Alte Vorurteile und Klischees in neuer Verpackung

Mit dem Überfall der Hamas am 07. Oktober 2023 auf Zivilisten in Israel und dem anschließenden Krieg in Nahost positionieren sich viele Menschen, auch im digitalen Raum, politisch. Darunter auch die Gründerin der Fridays-for-Future-Bewegung Greta Thunberg. Im Namen der Bewegung solidarisierte sie sich im Oktober 2023 mit den Palästinensern und verwendete dabei auf einem Foto das Symbol eines Kraken, welches auch die Nazis nutzten, um die angebliche jüdische Weltverschwörung und -Steuerung zu bebildern. Nutzer:innen in Sozialen Netzwerken reagierten auf dieses Bild von Thunberg, was sie wiederum dazu bewog, den Kraken auszuschneiden und zu argumentieren, ihr sei die antisemitische Symbolik nicht bewusst gewesen.

Der Dokumentarfilm JUD SÜSS 2.0 beleuchtet den Zusammenhang zwischen historischem Antisemitismus und dem Online-Antisemitismus, auf den Extremismus-Expert:innen seit Jahren hinweisen. In Gesprächen mit Expert:innen wie der Extremismusforscherin Julia Ebner oder der Historikerin und Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung Stefanie Schüler-Springorum wird deutlich gemacht, dass die visuellen Wurzeln für Cyber-Antisemit:innen oft bis zur Propaganda der Nationalsozialisten zurückreichen, die wiederum auf noch älteren, zum Teil bis ins Mittelalter zurückreichenden Vorurteilen über angebliche äußere Merkmale und Verhaltensweisen von Juden und Jüdinnen aufbaute. Die beiden zentralen antisemitischen NS-Filme „Der ewige Jude“ (Fritz Hippler, 1940) und „Jud Süß“ (Veit Harlan, 1940) werden in Ausschnitten behandelt und auf Stichworte eines heutigen Antisemitismus bezogen, der in Online-Foren und sozialen Netzwerken kursiert.

Bildsprache kritisch auf Codes prüfen

Antisemitismus heute kommt häufig kodiert vor – besonders im digitalen Raum –, spielt aber im Kern nach wie vor mit judenfeindlichen Stereotypen, die auch von den Nationalsozialisten genutzt wurden, um den größten industriell organisierten Genozid der Menschheitsgeschichte zu legitimieren und durchzuführen. Der antisemitische Propagandafilm „Jud Süß“, der 1940 von den Nationalsozialisten in Auftrag gegeben wurde, steht symbolisch für den Missbrauch von Medien, die bestehende Vorurteile durch Bildsprache und Narrative bekräftigen und somit Hass schüren können.

Extremismusforscher:innen, Historiker:innen und Medienwissenschaftler:innen regen dazu an, eine täglich erlebbare Bildsprache sowie verschwörungsideologische Diskurse kontinuierlich kritisch zu überprüfen.

Menschenverachtende Haltungen betreffen alle

Die Dokumentation stellt Fragen, die mit Schüler:innen, deren Alltagskultur natürlich auch im digitalen Raum stattfindet, diskutiert werden müssen: Welche antisemitischen Bilder und Narrative erleben wir im öffentlichen Raum, online wie offline? Mit welchen Begriffen und Anspielungen werden klassische antisemitische Ressentiments bedient, auch von Rechtspopulist:innen in der Politik? Warum betreffen menschenverachtende Haltungen nicht nur Minderheiten, sondern immer alle Menschen, und was sind Lösungsansätze, um Antisemitismus im Alltag wahrzunehmen und ihm entschlossen entgegenzutreten? Welche Verantwortung tragen wir alle als Nutzer:innen von Sozialen Netzwerken und welche Verantwortung haben die Plattformen, die solche Inhalte zugänglich machen und verbreiten?

Das Internet und antisemitische Stereotype

Das Internet im Allgemeinen und soziale Netzwerke im Besonderen haben die Verbreitung und Radikalisierung von Antisemitismus milieuübergreifend befördert. Gründe für die Verbreitung sind freie Zugänglichkeit, globale Verknüpfung, Schnelligkeit und vermeintliche Anonymität. Die sozialen Medien bieten der Jahrhunderte alten Judenfeindlichkeit ideale Voraussetzungen, um sich enttabuisiert explizit und implizit zu äußern und diese Äußerungen zu teilen.

Ein erster Schritt muss sich daher auf die Erkennung von antisemitischen Stereotypen konzentrieren, um Fälle, wie das oben geschilderte Beispiel von Greta Thunberg, zu verhindern. Hier leistet die Dokumentation Grundlagenarbeit und kann durch weitere Materialien ergänzt werden. Die BroschüreANTISEMITISMUS ERKENNEN – Symbole, Codes und Parolen“ bietet hier viele Begriffe und arbeitet versteckte Codes auf. Die Publikation der Amadeu Antonio Stiftung „deconstruct antisemitism! Antisemitische Codes und Metaphern erkennen“ ist in diesem Zusammenhang ebenfalls hilfreich.

Diskriminierungserfahrungen beachten

Da es in vielerlei Hinsicht um Diskriminierungsformen in JUD SÜSS 2.0 geht, sollte man bei der Bearbeitung des Inhaltes immer etwas mehr Zeit einplanen, weil Teilnehmende oftmals von eigenen Diskriminierungserfahrungen berichten und manche Erfahrungen für andere in der Gruppe nicht unbedingt offensichtlich sein können (unter anderem Benachteiligung aufgrund von religiöser Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, sozialer Herkunft). Zudem kann es sein, dass nicht alle in einer Gruppe das gleiche Basiswissen teilen, weswegen immer Raum für Fragen zur Verfügung gestellt werden und die gemeinsame Arbeit in einem bewusst ausgesprochenen „Schutzraum“ stattfinden sollte.

Szenenbild aus JUD SUESS 2.0 © Blueprint Film GmbH 2022
Szenenbild aus JUD SUESS 2.0 © Blueprint Film GmbH 2022

Zum Einsatz in der (außer-)schulischen Medienarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Jugendliche und junge Erwachsene sind in ihrem Alltag einer permanenten Flut von Informationen und Bildern ausgesetzt. Hier gilt es, Inhalte und Darstellungsweisen kritisch zu prüfen und zu bewerten, wichtig von unwichtig, wahr von unwahr unterscheiden zu lernen. Manche Weitergabe von Inhalten geschieht, ohne kritische Prüfung oder in Unkenntnis der umfassenden Bedeutung.

Durch ihre fortwährende Verwendung, Reproduktion und Weitergabe über Generationen hinweg sind zahlreiche antisemitischen Begriffe, Redensarten, Gegen- und Zerrbilder tief im kollektiven Gedächtnis europäischer Gesellschaften verankert. Eine antisemitische Aussage kann daher auch unabsichtlich erfolgen. An ihrem Inhalt ändert sich dadurch nichts. Ebenso wenig an der Verantwortung, die wir für unsere Äußerungen tragen. Dies gilt es zu vermitteln: Unkenntnis ist ein mildernder Umstand, aber keine Entschuldigung.

Jungen Menschen sollte daher immer an Fallbeispielen arbeiten, die Teil ihrer Lebenswelt sind. Bei der Aufschlüsselung von antisemitischen Diskursen in kulturellen Genres, u. a. im Fußball, in der Popkultur etc. kann die folgende Seite Hilfe leisten: Antisemitismus WTF?

Der Vorteil dieser Beispiele ist nicht nur die Aktualität und der lebensweltliche Bezug, sondern auch die unverkrampfte, manchmal auch – trotz des heiklen Themas – humorvolle Herangehensweise: „Schweine, Kraken, Ungeziefer. Unterwegs im antisemitischen Tierpark„.

Zum Einsatz mit Erwachsenen und Senior:innen

Im Bereich der Erwachsenenbildung lassen sich Bezüge zu den Themenfeldern Antisemitismus und Lüge herstellen. Die Frage nach dem Wert von Informationen in Wort und Bild ist für alle Generationen in Zeiten digitaler Transformation (was auch digitale Reproduktion und Veränderung einschließt) von hoher Dringlichkeit.

Die Hartnäckigkeit von Aussagen, die komplexe Zusammenhänge scheinbar einfach und verständlich vermitteln und daher ungeprüft übernommen werden, muss aufgebrochen werden, um die Mechanismen, wie Verschwörungserzählungen entstehen, aufzudecken. Gutes Material zur Frage, wie kann ich Informationen im Internet überprüfen und wie erkenne ich Verschwörungserzählungen, bietet die kostenfreie Broschüre der gemeinnützigen Organisation „Der Goldene Aluhut“.

Auch die Themen historisches Wissen und Diskriminierung bzw. Vorurteile eignen sich gut als Ansatzpunkte zum Gespräch.

Anknüpfungspunkte für aktive Medienarbeit

Antisemitismus

Immer wieder besteht eine große Unsicherheit darüber, wie sich antisemitische Diskurse definieren. Die Website https://www.stopantisemitismus.de/ benennt Fallbeispiele und erläutert anhand dieser, was hinter Äußerungen steckt, wie man darauf reagieren und wo man sich konkrete Hilfe holen kann. Ein Auftrag an Schüler:innen ab der 9. Klasse könnte sein, sich mit Fallbeispielen auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren, was daran problematisch sein könnte, bevor man sich mit der Auflösung auseinandersetzt.

Verschwörungserzählungen

Die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes von Meldungen, Informationen oder Nachrichten gehört für jungen Menschen zum Alltag. Verschwörungserzählungen stehen dabei neben seriösen Informationen, erfundene Aussagen stehen neben überprüfbaren Fakten. Wie kann ich etwas als Verschwörungserzählung oder als Teil von einer solchen Erzählung erkennen? Neben Angeboten von Institutionen und Medienpädagog:innen bietet der Artikel Zwischen Theorien und Mythen: eine kurze begriffliche Einordnung einen verständlichen und kompakten Überblick.

Extremismus und Rechtsradikalismus

Wie verbreiten sich rechtextreme oder rechtspopulistische Themen und Botschaften in der digitalen Welt? Ein Zugang sind sicherlich Soziale Netzwerke, besonders ins Blickfeld geraten ist die Plattform TikTok. Die Publikation „Das TikTok-Universum der (extremen) Rechten“ stellt zu dieser Frage vielfältiges Material zur Verfügung. Und auch die Bildungsstätte Anne Frank analysiert in ihrem Report aktuelle Trends, Strategien und Ästhetiken in diesem Medienkosmos – und gibt Hinweise zur öffentlichen Debatte wie auch zur medienpädagogischen Intervention.

Online-Radikalisierung

Eine Online-Suche zu der Person George Soros könnte als praktische Übung in Medienkompetenz dienen: Wie verschafft man sich objektive Informationen über einen Mann, den heutige Antisemit:innen immer wieder in das Zentrum einer globalen Verschwörung stellen?

Weiterführende Materialien

Weitere Materialien finden sich auf mekomat.de, beispielsweise zum Thema Antisemitismus. Zudem gibt es weitere Filmtipps zum Thema, wie Rechtsextremismus oder Verschwörungserzählungen. Diese Filme lassen sich auch übergreifend zur Förderung von Informations- und Medienkompetenz einsetzen.

Für wen?

Weiterführende Schulen Sek I, ab Klasse 9 (14 Jahre), Sek II; Fächer: PoWi, Ethik, Geschichte, Deutsch, ev. und kath. Religion

Berufsbildung und berufliche Weiterbildung

Außerschulische Jugendarbeit, Erwachsenenbildung

Bezugsmöglichkeiten

JUD SÜSS 2.0 ist bei verschiedenen Medienzentralen zur digitalen Ausleihe verfügbar, zu finden im Medienportal.
Die DVD mit Vorführrechten oder eine digitale Version des Films kann beim Katholischen Filmwerk bezogen werden.

Fazit

JUD SÜSS 2.0 beschäftigt sich mit Aspekten, die einen Brückenschlag „vom NS- zum Online-Antisemitismus“ (Untertitel) erkennen lassen. Durch Expert:innen-Interviews, Bild- und Textmaterial sowie Ausschnitte aus den nationalsozialistischen Propagandafilmen (sogenannte Vorbehaltsfilme) „Jud Süß“ und „Der ewige Jude“ erfolgt eine Material- und kenntnisreiche Auseinandersetzung mit dem Phänomen, dass z. T. sehr alte antisemitische Ressentiments über das Internet heute ungefiltert und (häufig) unkommentiert weite Verbreitung finden. Gerade in sozialen Netzwerken können Kinder und Jugendliche (unbeabsichtigt) zur Weitergabe von diskriminierenden und menschenverachtenden Inhalten beitragen.  Auch die Gefahr der Radikalisierung wird angesprochen und es werden Wege aufgezeigt, wie dieser Entwicklung zu begegnen ist. Die Dokumentation JUD SÜSS 2.0 enthält viele Ansatzpunkte für eine vertiefende Behandlung im Unterricht. Sie setzt bei der Alltagswirklichkeit der meisten heutigen Menschen an und so kann der Film als Ausgangspunkt für eine Diskussion dienen, wie antisemitische Propaganda im Internet zu erkennen ist.

Ein Kommentar

  1. Pingback: Woran wir gerade arbeiten - November 2025 - Medienkompetenz Connect

Die Kommentare sind geschlossen.